Verbot bleibt Verbot – zum Thema Gendern in Hessen
Zutiefst befremdlich ist der Versuch der Landeregierung, ein offen-sichtliches Verbot nicht als das auszuweisen, was es ist, nämlich ein Verbot. So wird jetzt mit geradezu kaltschnäuziger Chuzpe den Abitu-rientInnen ein konformer Schreibstil verordnet. Dabei geht es vorgeb-lich doch immer darum, die jungen Leute so gut wie möglich auf ihr spä-teres Leben vorzubereiten. Nun gut – wenn sich nun aber nicht alle bei der Jungen Union bewerben wollen, sondern etwa bei bestimmten NGOs, ist der geübte Gebrauch gendersensibler Sprache durchaus wichtig. Eben diese wird aber jetzt mit fadenscheinigen Argumenten verboten, im Fall des Abiturs sogar sanktioniert. Daher mal ein kon-struktiver Vorschlag: Möge jede/jeder schreiben, wie er/sie will, tue es nur in schulischen Prüfungen und Arbeiten konsequent. So kämen alle ganz einfach zu ihrem Recht. (Leserbrief in Der neue hessische Landbote 2/2024, mit freundlicher Genehmigung).
Über das Grundgesetz und die Kunst
Das Beschädigen von Kunstwerken ist eine Straftat. Das Verhindern des rezeptionellen Prozesses (d.h. des sog. „Kunstgenusses“) ist viel-leicht ärgerlich, aber nicht einmal eine Ordnungswidrigkeit – es ist lediglich ein Verstoß gegen eine Hausordnung. Schadenersatz leisten in solchen Fällen die Verursachenden oder die Versicherung. Der Tat-bestand der Beschädigung setzt ohnehin voraus, dass überhaupt ein Schaden entstanden ist. Wenn ein Ölgemälde mit Säure bespritzt oder mit Teppichmessern zerschnitten wird, ist ein Schaden entstanden. Wenn eine abwaschbare Glasfläche mit einer abwaschbaren Flüssig-keit beschmutzt wird, ist dem Kunstwerk kein Schaden entstanden, sondern eben nur der rezeptionelle Prozess unterbrochen. Und überhaupt: die Kunst der Gegenwart verstehet Kunst zunehmend so, dass diese im Rezeptionsprozess durchaus verändert werden kann oder in diesem und durch diesen sogar erst entsteht. Entsprechend ist Kunst mittlerweile längst aktiver Teil der Öffentlichkeit, und kreative Teilnahme wird mitunter direkt eingefordert: aktive Mitgestaltung, nicht stupide Bewunderung! Begehbares Mahnmal, nicht distanziertes Denkmal! Deshalb: Die „Beschmutzung“ der Tafeln der Grundgesetz-Skulptur („Grundgesetz 49“) durch Öl (oder eine „ölartige Substanz“) lässt sich besser nicht als „Zerstörung“ eines Kunstwerks, sondern eher als aktualisierende interpretative Erweiterung verstehen: das Grund-gesetz wird unleserlich gemacht – und damit im symbolischen Akt das wiederholt und verdeutlicht, was die Petroindustrie de facto macht. Damit aber ist diese Aktion aber eben keine Missachtung des Grundge-setzes, sondern der Hinweis auf seine Missachtung. Somit erweist sich diese Aktion auch nicht als asoziales Rowdytum oder Klima-Terroris-mus einer herbeiphantasierten „Öko-Taliban“, sondern als kreativ-intelligente Teilnahme am politischen Diskurs mit den Mitteln der Kunst. Dass dies nicht immer verstanden wird, ist nicht die Schuld der AktivistInnen.
WENN DIE GLUT IM KRATERHERDE ODER DER TANZ AUF DEM VULKAN
In Brandenburg gab es jetzt einen Anschlag auf die Stromversorgung des Tesla-Werks. Verantwortlich erklärt sich eine sog. „Vulkangruppe“.
Es ist gleich eine ganze Reihe interessanter Assoziationen, die dies aus-löst – es grüßt der Tanz auf dem Vulkan, die Internationale grüßt und aus der Ferne sendet Raumschiff Enterprise Signale.
Wird etwas grundständig bewegt, sind Vulkane Metapher der Wahl – bedrohlich, unkontrollierbar, gewaltig, mit hohem destruktivem Po-tential. Sie stellen die Verbindung her von Unterwelt, Natur, Zivilisa-tion. Bei Vulkanen gibts kein Halten, und nach der Eruption heißt es stets von vorne zu beginnen – nicht aber nowendig, Fehler stumpf zu wiederholen.
Der Bau der Tesla-Gigafactory ist aber vielleich ein solcher – weniger „Glücksfall“ (so Brandenburgs Wirtschaftsminister Steinbach) als Miss-achtung des Willens derer, die dort leben. So gab es jetzt ein zweites Votum der BrandenburgerInnen – ob die Politik indes umlernen kann und will, ist ungewiss. Gewiss aber ist, dass es rumort im Untergrund. Vulkanismus in der Brandenburger Heide – Elon Musk macht möglich.
Alexander Gerst auf Vortragsreise: Schule und Raumfahrt oder die MINT-mind-Paradoxie
Es fällt doch immer wieder auf, dass detaillierte technische Intelligenz mit einem banalen Niveau ethisch-philosophisch-gesellschaftlicher Re-flexion nicht nur kompatibel, sondern oft geradezu symbiotisch ver-bunden ist. Ein Beispiel hierfür sind die Vorträge von Raumfahrer Alexander Gerst: nach dem Sinn von Raumfahrt gefragt, kommen ne-ben technischen Details lediglich grobe Konzepte: da wird von einem ominösen allgemeinen Erkenntnisstreben geredet (als verdanke sich die Raumfahrt nicht einem militärischen Wettrüsten), von der Vision, den Mars zu besiedeln (anstatt die Erde wohnbar zu erhalten) oder gar „Verwandte im Weltraum“ zu treffen (wovor unser Umgang mit unse-ren eigenen natives uns dringend warnen sollte). So sieht er offenbar nicht den Zusammenhang zwschen den von ihm gezeigten Bildern aus dem All, die die Verheerungen die Verwüstung des Planeten zeigen und den Auswirkungen eben dieser Technik im biosphärischen Kontext. Sonderbar auch am Schluss der emphatische Appell, persönliche Träu-me in der Raumfahrt zu verwirklichen. Dies bedeutet in der Astronau-tenlogik doch wohl, dass erfüllte Träume etwas für nur die wenigsten sind. Deswegen meinen wir: weniger träumen, aber mehr Geist und Grips für Gerst und Konsorten und bitte kein MINT mehr ohne mind.
MINT-Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik sind Fächer, die weitgehend oder ausschließlich die Anwendung von Wissen vermitteln, nicht aber dessen historische, gesellschaftspoli-tische oder ideengeschichtliche Problematisierung (entsprechend sind zwar die Leistungskurse Mathe und Physik in Kombination möglich, Deutsch und Geschichte hingegen nicht). Das ist aber schon deshalb plausibel, weil ja z.B. auch niemand seriös den Ausstieg aus der Atom-kraft fordern kann, der/die nicht bis ins allerletzte physikalische Detail wüsste, wie ein Atomreaktor funktioniert (und analog verhält es sich natürlich auch mit Themen wie Gentechnik, Verbrennungsmotor, Atomwaffen, Digitalisierung…). Daher kann die Beschränkung auf einen harten Machbarkeitskern nur positiv sein, zumal in einer Welt, die immer noch voll ist von widersprüchliche Paradigmen vertretenden TheoretikerInnen. Auf diese Weise werden die sog. Geisteswissen-schaften – wie auch die ohnehin nutzlose Kunst – schließlich endgültig zu Rand- und Orchideenfächern, ohne dass dies indes größeres Be-dauern hervorriefe; der Tod der Theorie wird ein lautloser sein.
(Anselm Sommerfeld: Anarcho-Pädagogik“)
`Fridays for future´ und das hessische Schulgesetz. Ein Nachtrag
Wenn man die Aktivitäten und Aktionen rund um den sog. „Fridays for future“ verfolgt, gewinnt man den Eindruck, dass die Beteiligten vor allem aneinander vorbei reden. Problematisch ist dabei weniger das Anliegen der Schülerinnen und Schüler – problematisch ist vor allem die Reaktion der Schulverwaltung: diese sollte wissen, dass es unsinnig ist, auf moralische Appelle mit Regeln, Ermahnungen und Weisungen zu reagieren.
Nun können Behörden kein schlechtes Gewissen haben. Ebensowenig aber können junge Menschen verpflichtet werden, ihre Anliegen erst am Ende eines politischen `Meinungsbildungsprozesses´ in homöopa-thischer Dosierung zu Gehör zu bringen. So gesehen ist der Konflikt ein Konflikt zwischen „jetzt!“ und „abwarten!“ – und dann vielleicht auch ein Konflikt zwischen Jüngeren und Älteren.
Im Grunde aber gibt das hessische Schulgesetz den streikenden und protestierenden Schülerinnen und Schülern ja recht. Junge Menschen sollen sich zu mündigen und selbstbestimmten Erwachsenen bilden, die Gesetze deswegen befolgen, weil sie sie aus intrinsischer Überzeugung und kritischer Einsicht befolgen wollen – aus bloßem Respekt vor den nicht letztbegründbaren und doch alles begründenden universalen Ge-rechtigkeits-, Grund- und Gleichheitswerten.
Ebendies aber tun unsere Schülerinnen und Schüler, einfach so und ohne die zuständige Behörde um Erlaubnis zu fragen – und hierin liegt sowohl der Skandal der Proteste als auch ihr progressives Moment. Denn in der Tat – die Schülerinnen und Schüler lassen sich ihre Mün-digkeit nicht mehr verordnen – sie nehmen sie sich einfach und handeln so auch noch im Einklang mit der freiheitlich-demokratischen Grund-ordnung, in Hessen wie überall in Deutschland. Sapere audete! – auf Deutsch: habt Mut, euch eures Mutes zu bedienen!